Schuberts Winterreise by Bostridge Ian;Zettel Annabel;

Schuberts Winterreise by Bostridge Ian;Zettel Annabel;

Autor:Bostridge, Ian;Zettel, Annabel;
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: C.H. Beck


In den darauffolgenden Jahren sollte Müller etliche Male mit den Zensoren der österreichischen und deutschen Staaten aneinander geraten. Der zweite Band seiner Waldhornistenlieder, worin Die Winterreise 1824 ihren endgültigen Platz fand, enthielt mehrere Gesellschafts- und Trinklieder mit politischen Spitzen, von denen einige in Dessau verboten worden waren. Müllers Verehrung für Byron resultierte aus seiner Übersetzung eines biographischen Beitrags über den radikalen Engländer, die im Taschenbuch Urania auf das Jahr 1822 veröffentlicht wurde. Aufgrund dieses Beitrags wurde das Buch 1822 von der Wiener Zensur mit dem «Damnatur» belegt. Die ersten zwölf Gedichte der Winterreise waren Teil der darauffolgenden, 1823 erschienenen Ausgabe dieser Jahresschrift. Müllers Zyklus von Wintergedichten, den Schubert in einer suspekten Publikation fand, stand in einem äußerst radikalen Kontext.

Kommen wir also endlich auf unseren Köhler zurück. Es erschließt sich uns jetzt, warum er da ist. Wir können entschlüsseln, was er bedeutet. Er ist nicht einfach ein Handwerker, der seinem einsamen Gewerbe nachgeht, durch den rauen Wind des sozioökonomischen Wandels dem Untergang geweiht, sondern er ist auch einer der Carbonari, wörtlich «Köhler», des Geheimbundes, dessen Rot und Schwarz das Habsburger Regime fürchtete, und der so eng mit der von Müller hintersinnig gefeierten italienischen Landschaft der 1820er Jahre verbunden war. Sein «enges Haus» ist die baracca (Baracke, Schuppen, Hütte), in der die Mitglieder der geheimen Gesellschaft zusammenkamen, um die obskuren Rituale abzuhalten, die sie zusammenschweißten. Byron hatte sich 1820, im Exil lebend, der Loge der Carbonari in Ravenna angeschlossen. Für Müller und Schubert verkörperten die Carbonari gewiss den Kampf für eine konstitutionelle Regierung und den Widerstand gegen das reaktionäre Vorhaben, das die Heilige Allianz und ihre Verbündeten in ganz Europa verfolgten. Sie gehörten zu denen, die, wie in Müllers Brief an Atterbom ersehnt, handeln und losschlagen konnten. Sowohl Müllers als auch Schuberts Winterreise ist Teil dieses «ruhenden Trauerns», das denen, die nicht handeln konnten, noch blieb.

Liest und singt man die letzten Worte von «Rast» noch einmal, so scheint eine neue, rebellische Wildheit auf, die von der unterdrückten Tatkraft und der Qual jener zeugt, die nicht zu handeln wagten:

Auch du, mein Herz, im Kampf und Sturm

So wild und so verwegen

Fühlst in der Still erst deinen Wurm

Mit heißem Stich sich regen.



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